Susanne Bilz
Gedanken beim Kaffee - Lebenskunde

Wenn ich eine maßgebliche Position im Bereich der Bildung inne hätte, dann würde ich ein neues Schulfach einführen. Und ich hätte auch schon einen Namen für dieses neue Fach – ich würde es „Lebenskunde“ nennen.
Wie ich darauf komme?
Ich erstelle gerade ein Moodboard mit verschiedenen Materialien und Mustern und mir kommt die Frage in den Sinn, die kürzlich anlässlich einer Modenschau mit ausschließlich nachhaltig produzierenden Labels von einigen BesucherInnen gestellt wurde: ob denn die Baumwolle, die für die Shirts verwendet würde auch aus deutscher Produktion komme?
Die Antwort ist ein klares ‚Nein‘. Baumwolle wird aus den Samenfäden der Baumwollpflanze gewonnen und diese Pflanze gedeiht ausschließlich in tropischen und subtropischen Ländern. Die Reaktion auf diese Antwort zog enttäuschte Blicke nach sich, dann sei das ja wohl doch kein nachhaltiges Modelabel und mit leisem Raunen zur Nachbarin: „Dann könne frau auch beim XY-Discounter einkaufen“.
Es gibt viele solcher Beispiele, ganz besonders im Bereich der Modeindustrie, und es sind immer die gleichen Muster. Mir scheint, je größer die Verfügbarkeit von Wissen und Information zu jeder Art von Themen und je mehr wir die Möglichkeiten haben, etwas zu verändern, desto mehr ignorieren wir es, tendieren zu Halbwissen und richten uns in einer uns angenehmen Blase ein. Alles kann dann bleiben wie es ist.
Weshalb jetzt aber ein neues Schulfach?
Ein solches Schulfach sollte die Aufgabe haben, Zusammenhänge zu klären und eine Anleitung im Umgang mit Komplexität zu schaffen um diese nicht als Bedrohung zu sehen sondern sie als Schubkraft für Veränderungen nutzen zu können.
Die Lebenskunde könnte bereits in der Kita beginnen und würde Grundwissen in allen wichtigen Lebensbereiche vermitteln.
Woher kommt unser Essen, wenn nicht aus dem Kühlregal?
Was ist gesund, was eher nicht und warum?
Welches Material , welche Vorteile, welche Nachteile?
Wie gehen wir respektvoll miteinander um?
Warum ist „Wählen gehen“ wichtig?
Wie finde ich etwas, das mir Spaß macht?
Wie eröffne ich ein Konto und was sind Steuern?
Wie gehe ich mit Social Media um? Was sind Filter und was ist Fake?
Die Liste ließe sich sicherlich immer weiter fortführen und wir müssten sie ständig überarbeiten aber in jedem Falle wäre es genug Stoff bis ans Ende der Schulzeit.
Dieses Schulfach stünde außerhalb der sonstigen Bewertung, keine Noten, keine Beurteilung und es könnte auch durch externe ExpertInnen vermittelt werden. Das Schuljahr würde mit einem gemeinsamen Projekt zum jeweiligen Thema abgeschlossen werden. Vielleicht mit einem Vortrag, einer Präsentation um auch die Stärke von Diversität und Zusammenarbeit aufzuzeigen aber auch hier immer ohne Beurteilung seitens einer Lehrkraft oder eines Gremiums. Es ginge ausschließlich um die Vermittlung von Wissen und Zusammenhang.
„Das ist doch Quatsch und sowieso alles schon in den verschiedenen Schulfächern drin“, könnte man sagen und das ist auch nicht falsch.
Im Schulfach liegt der Fokus jedoch immer auf einem bestimmten Fachgebiet und am Ende des Schuljahrs steht immer eine Leistungsbewertung. Nicht selten ist diese Bewertung weit wichtiger als das vermittelte Wissen.
Schulfächer stellen Wissen auch selten in Zusammenhang. Zwar gibt es übergeordnete Themen aber jedes Fach handelt diese Themen für sich ab und darunter leidet der Blick für die Komplexität und die Möglichkeit, damit leben zu können. Schon dort entstehen ‚Bildungs-Blasen‘. Wer kennt nicht den Fall, dass er oder sie ein ganzes Fach abgehakt hat weil die Lehrkraft einfach nicht zur eigenen Persönlichkeit gepasst hat, egal wie wichtig das Thema eigentlich gewesen wäre.
Wenn wir Strategien zur Bewältigung der Herausforderungen der Zukunft erfolgreich entwickeln wollen, dann sind Blasen hinderlich. Sie bilden einen viel zu dichten Schaum. Schaum ist langsam und niemand kann darin klar sehen.
Dabei fällt mir ein Mittel aus In der Produktionstechnik ein. Es läuft unter dem Begriff des ‚Entschäumers‘ und der wird überall dort gebraucht wo klare Substanzen und erhöhte Viskosität erforderlich sind und Schaum unerwünscht ist.
Vielleicht wäre das Fach Lebenskunde dann der Entschäumer unserer zukünftigen Gesellschaft und dieser Gedanke gefällt mir.